Herr Gietz, wir unterhalten uns über die EU-Transparenzverordnung, die seit wenigen Tagen gilt. Die Frage, die von vielen Teilnehmern im gemeinsamen Webinar von Standard Life und dem Maklerverband AfW gestellt worden ist und die immer wieder auftaucht, lautet: Müssen Versicherungsvermittler seit dem 10. März das Thema ESG in Beratungsgesprächen mit Kunden aktiv ansprechen?
Marco Gietz:Das ist in der Tat eine Frage, die immer wieder zu hören ist, und darauf gibt es ein (fast) klares „Nein“. Stand jetzt, nach Inkrafttreten der Transparenzverordnung, gibt es noch keine Pflicht, das Thema Nachhaltigkeit jedenfalls in der Form anzusprechen, dass der Vermittler beispielsweise die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden explizit erfragt und sich in der Beratung danach auch richtet. Diese Pflicht wird voraussichtlich in der Zukunft eingeführt werden durch die Änderung der delegierten Verordnung zur Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD (Insurance Distribution Directive), mit der eher im zweiten Quartal 2022 zu rechnen ist. Dann wird es voraussichtlich eine Pflicht geben, entsprechende Nachhaltigkeitspräferenzen zu erfragen und in der Beratung zu berücksichtigen, heißt es.
Der Vermittler muss also noch nichts in puncto ESG tun?
Marco Gietz: Was natürlich jetzt bereits gilt, ist: Wenn der Kunde von sich aus Angaben dazu macht und den Vermittler darüber informiert, dass er gerne teilweise, überwiegend oder gar ausschließlich nachhaltige Fonds in seiner Kapitalanlage hätte, dann ist der Vermittler verpflichtet, im Rahmen der Angemessenheitsprüfung dies auch zu berücksichtigen und darf ihm stattdessen nicht einfach ungefragt nicht-nachhaltige Fonds empfehlen.
In der Diskussion um die EU-Transparenzverordnung taucht immer wieder dieser Begriff der „Nachhaltigkeitsrisiken" im Unterschied zu Risiken des Investments für die Umwelt auf. Was ist da was?
Marco Gietz:Ein weiterer Punkt, der letztlich eine Selbstverständlichkeit ist, den es aber zu erwähnen gilt, sind die sogenannten „Nachhaltigkeitsrisiken". Dieser Begriff umfasst ökonomische Risiken für das Investment, die aus dem Bereich der Nachhaltigkeit kommen. Es geht also nicht darum, wie sich das Investment auf die Umwelt usw. auswirkt, sondern wie sich Umwelt- oder sonstige Nachhaltigkeitskriterien auf das Investment auswirken. Ob also das Risiko besteht, dass das Investment aufgrund von Umweltereignissen oder gesellschaftlichen Wandlungen im Rahmen der Nachhaltigkeit an Wert verliert? Sollten Sie ausnahmsweise (das wird zugegebenermaßen selten vorkommen) einmal eine Kapitalanlage haben, bei der der Anbieter sagt: „Hier bestehen relevante Risiken für das Investment, wenn das alles so weitergeht", sind Sie natürlich verpflichtet, den Kunden auf diese Risiken hinzuweisen. Das ist letztlich nichts anderes als ein Währungsrisiko, ein Equity-Risiko, ein Klumpenrisiko, ein Zinsrisiko usw.
Wie kann ich mir als ein Anleger solch ein Nachhaltigkeitsrisiko vorstellen?
Marco Gietz:Bildlich gesprochen: Sie investieren als Fonds oder als sonstiger Anbieter in ein Tulpenfeld in Holland. Das Tulpenfeld liegt zwei Meter unter dem Meeresspiegel und ist durch einen Deich vor der Nordsee geschützt. Wenn nun die Klimaerwärmung zu einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels führt, der gegebenenfalls über den Deich steigt, dann wird dieses Tulpenfeld in Holland überflutet und damit – so nehme ich als Nicht-Florist an – wertlos werden. Dies wäre ein typisches Nachhaltigkeitsrisiko aus dem Bereich der Umweltrisiken.
Und der Vermittler müsste dem Kunden in so einem Fall sagen: „Lieber Kunde, überleg' dir gut, ob du das machen willst, weil es da Nachhaltigkeitsrisiken gibt."
Marco Gietz:Genau. Wenn er jetzt beispielsweise explizit ein Investment in ein Tulpenfeld oder aber einen Fonds empfiehlt, der beispielsweise in seinen Risiko-Offenlegungen darauf hinweist: „Lieber Investor, wir investieren hauptsächlich in Tulpenfelder in Holland, und es besteht das und das Risiko", dann müsste der Vermittler seinen Kunden auf diese Risiken hinweisen.
Soll also heißen: Die Vermittler müssen das Thema noch nicht aktiv ansprechen. Sie sind aber sehr wohl gehalten, ihre Kunden doch darauf hinzuweisen, gerade wenn es um solche Nachhaltigkeitsrisiken geht.
Marco Gietz:Wenn solche Nachhaltigkeitsrisiken sichtbar sind, dann ist auf diese hinzuweisen, und diese sind genauso in die Beratung mit einzubeziehen wie alle anderen ökonomischen Risiken auch.
Wen betrifft die Verordnung denn jetzt genau?
Marco Gietz: Die Verordnung betrifft in erster Linie die Produktgeber, die als sogenannte „Finanzmarktteilnehmer" genannt sind. Aber ein ganz wichtiger Punkt sind eben auch die sogenannten „Finanzberater“. Da sind, nach der Definition, ganz klar diejenigen Vermittler genannt, die Versicherungsanlageprodukte, die sogenannten IBIPs, vermitteln. Das sind in Deutschland die nach §34d Gewerbeordnung zugelassenen Versicherungsvermittler.
Was in der Verordnung nicht explizit genannt und deswegen etwas unklar ist, das sind die Finanzanlagenvermittler nach §34f der Gewerbeordnung. Diese sind in Deutschland ein bisschen ein Sonderweg, da Deutschland von der Ausnahmevorschrift der MiFID Gebrauch gemacht hat und diese Vermittlungen ohne Zulassung als Wertpapierfirma erlaubt. Jetzt ist die Frage: War das dem europäischen Gesetzgeber bei Verfassung der Offenlegungsverordnung nicht bewusst, dass es in Deutschland einen solchen Sonderweg gibt und hat er deshalb vergessen, diese Vermittler mit aufzunehmen? Oder war es tatsächlich gewollt, diese aus dem Anwendungsbereich herauszulassen?
Dazu gibt es eine Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums, die besagt: Die 34f-Vermittler sind nicht in der Verordnung genannt, also ist die Verordnung auch nicht für sie anwendbar. Jedoch ist für die Auslegung europäischen Rechts nun mal nicht das Bundesfinanzministerium in letzter Instanz zuständig. Insofern gibt es Verbände wie den AfW, der ja neben den Versicherungsmaklern auch die Finanzanlagenvermittler vertritt und der durchaus empfiehlt, dass auch die 34f-Vermittler die Vorgaben der Verordnung (freiwillig) erfüllen mögen, um hier kein Risiko einzugehen.
Denn man muss ja sagen, das ganze Nachhaltigkeitsthema ja für den Vermittler nicht nur regulatorisch und nicht nur lästige Pflicht, sondern es ist schlicht auch eine Chance, sein Geschäft zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten.
Wie können die Vermittler die rechtlichen Anforderungen der EU-Transparenzverordnung am besten erfüllen? Da gibt's spezielle Artikel, die für sie relevant sind.
Marco Gietz:Die Vermittler haben Pflichten nach den Artikeln 3 bis 6 der Offenlegungsverordnung zu erfüllen. Und davon sind es die Artikel 3 bis 5, die Veröffentlichungen auf der Website des Unternehmens erfordern. Sollten Sie keine Internetseite haben, dann sind die ganzen Pflichten nach Artikel 3 bis 5 der Verordnung für den Vermittler nicht anwendbar. Es gibt weder eine Pflicht, eine Internetseite zu erstellen, noch, alternativ diese Informationen beispielsweise auf Papier vorzuhalten.
… aber wie realistisch ist das denn heutzutage noch?
Marco Gietz:Jedenfalls kam in den Webinaren, die wir gehalten haben, ab und an mal die Frage: „Wie sieht es aus, wenn man keine Internetseite hat?" Das scheint es tatsächlich noch zu geben; ich ahne aber, dass das die absolute Ausnahme sein dürfte.
Worum geht es genau in diesen Artikeln 3 bis 6, die im Wesentlichen für die Versicherungsvermittler in Frage kommen?
Marco Gietz:Da betrifft der Artikel 3 den Umgang des Vermittlers mit den schon benannten Nachhaltigkeitsrisiken, wie der Vermittler im Rahmen seiner Beratung darauf eingeht, inwiefern Nachhaltigkeitsrisiken vorliegen, also tatsächliche Risiken für das Investment existieren. Da wird sich der Vermittler auf die Angaben des Produktanbieters stützen müssen; und das sollte tatsächlich so auch in die Beschreibung seiner Vorgehensweise mit einfließen.
Der Artikel 4 betrifft genau das Umgekehrte. Der spricht nämlich von „nachteiligen Auswirkungen des Investments auf Nachhaltigkeitsfaktoren". Also nicht davon, wie sich die Umwelt und sonstige Nachhaltigkeitsfaktoren auf mein Investment auswirken, sondern wie mein Investment sich auf die Umwelt und die anderen Nachhaltigkeitsfaktoren auswirkt. Hier besteht nicht zwingend die Pflicht, dass diese Faktoren berücksichtigt werden, sondern es gibt den sogenannten „comply or explain"-Ansatz. Man muss also entweder diese Auswirkungen berücksichtigen oder erklären, warum man dies nicht tut. Beispielsweise, weil zurzeit einfach bei vielen Produkten entsprechende Angaben nur sehr rudimentär vorhanden sind.
In Artikel 5 geht es darum, wie die Vergütungspolitik des Vermittlers mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Einklang zu bringen ist. Ob er also erstens selbst eine höhere Provision erhält oder aber zweitens eine höhere Vergütung an seine Mitarbeiter zahlt, wenn nachhaltige oder aber nicht-nachhaltige Produkte vertrieben werden. Hier macht die Verordnung keine Vorgaben, dass oder in welcher Form dies zu berücksichtigen ist, sondern nur, dass diese offenzulegen ist. Aber natürlich ist das Verbot von Fehlanreizen in der Vergütung zu berücksichtigen. Es wird wahrscheinlich problematisch sein, wenn jemand sagt: Ich zahle oder empfange eine höhere Vergütung, wenn ich explizit nicht-nachhaltige Produkte vertreibe ...
Und worum geht's dann in dem Artikel 6, für den man keine Webseite braucht?
Marco Gietz:Der Artikel 6 der Offenlegungsverordnung betrifft die vorvertraglichen Informationen, die dem Kunden zu übermitteln sind. Da ist die gleiche Angabe, die man im Rahmen des Artikels 3 macht (nämlich den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken in der Beratung) – die ist dann nochmal in den vorvertraglichen Informationen zu erteilen. Und zum anderen sind letztlich die produktbezogenen vorvertraglichen Informationen, die Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsrisiken etc. haben, zu erteilen. Letzteres ist für den Vermittler dadurch zu handhaben, dass er die vorvertraglichen Informationen des Produktgebers dem Kunden auch aushändigt und sich den Empfang quittieren lässt. Die entsprechenden Auswirkungen auf das Produkt kann der Vermittler ja nicht aus eigener Anschauung wissen, sondern kann und darf sich da auf die Angaben des Produktgebers verlassen.
Also, das ist schon einiges, was da auf die Vermittler zukommt mit der Transparenzverordnung ...
Marco Gietz:Es hört sich, wie so häufig, alles schlimmer an, als es letztlich ist. Es sind ein paar Angaben, welche gemacht werden müssen, die der Vermittler aber auch einem Muster entnehmen kann. Die Verbände, beispielsweise der AfW, mit dem Standard Life zusammenarbeitet, aber auch Votum oder der BVK, halten Musterformulierungen für ihre Mitglieder und (dadurch, dass sie sie auf den Internetseiten veröffentlichen) auch für Nichtmitglieder vor. Insofern hat jeder Vermittler die Chance, sich die Musterformulierungen, die zu diesen Artikeln veröffentlicht worden sind, anzusehen und die für sich passenden herauszusuchen bzw. auf sein Geschäftsmodell anzupassen. Das ist dann tatsächlich gar nicht mehr solch ein großer Aufwand.
Welche weiteren ESG-bezogenen Regularien kommen nach der Transparenzverordnung?
Marco Gietz:Da gibt's mehrere Schritte, die noch folgen werden. Das sind zunächst einmal die technischen Regulierungsstandards zur Transparenzverordnung. Darin werden einige der Artikel näher definiert und konkretisiert. Das betrifft im Rahmen der für den Vermittler anwendbaren Artikel im Wesentlichen den Artikel 4 bei den Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Diese technischen Regulierungsstandards werden voraussichtlich zum 1. Januar 2022 in Kraft treten. Da gibt es seit Februar Entwürfe, die müssen noch vom Europäischen Rat, der Kommission und dem Parlament beschlossen und sodann veröffentlicht werden. Es ist aber davon auszugehen, dass diese zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten werden. Hier sollte man sich also nicht zu sehr darauf ausruhen, dass man alle Vorgaben erfüllt hat, sondern man muss zumindest Augen und Ohren offenhalten.
Dann gibt es noch die sogenannte Taxonomieverordnung. Diese unterscheidet sich von der Offenlegungsverordnung im Wesentlichen darin, dass sie konkrete Vorgaben macht, wann etwas nachhaltig ist. Die Offenlegungsverordnung schreibt vor, zu erläutern, wie man als Produktgeber oder als Vermittler mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht. Sie erteilt aber beispielsweise keine Vorgaben, dass ein Produkt nur dann als nachhaltig vertrieben werden darf, wenn es Kriterium 1, 2 oder 3 erfüllt. Solche Vorgaben wird die Taxonomieverordnung gemeinsam mit ihren technischen Regulierungsstandards machen. Die Taxonomieverordnung ist im Wesentlichen für die Produktgeber relevant. Aber natürlich sollte auch der Vermittler ungefähr wissen, was sie denn besagt, damit er nach Inkrafttreten der entsprechenden Standards der Verordnung das auch in seine Beratung aufnehmen kann.
Die Taxonomieverordnung wird mit ihren technischen Regulierungsstandards gestaffelt in Kraft treten, und zwar zunächst für das Nachhaltigkeitsziel des Klimaschutzes, weil das von der EU als das drängendste angesehen wird, zum 1. Januar 2022. Und für die weiteren Umweltkriterien und die anderen Nachhaltigkeitsfaktoren „Soziales“ und „Unternehmensführung“ gestaffelt nach und nach. Die weiteren Umweltziele werden zum 1. Januar 2023 in Kraft treten und alles Weitere dann später.
War‘s das damit …?
Marco Gietz:Was für die Vermittler auch hoch relevant ist, ist die Änderung der delegierten Verordnungen zu IDD / MiFID II. Und zwar ist geplant, dass die IDD, die Vorgaben zur Versicherungsberatung macht, dahingehend geändert wird, dass die Nachhaltigkeit auch in der Beratung eine konkrete Rolle spielt. Dass nämlich der Vermittler verpflichtet sein wird, explizit die Nachhaltigkeitskriterien des Kunden abzufragen und entsprechend in der Beratung im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen.
Insofern wird es ab dann tatsächlich in der Beratung eine große Rolle spielen, inwieweit die einzelnen Kapitalanlagen nachhaltig sind oder nicht. Bei der Änderung zur delegierten Verordnung IDD warten wir täglich auf einen konkreten Entwurf ... Man kann davon ausgehen, dass diese nicht vor dem zweiten Quartal 2022 in Kraft treten wird.
Das Thema „Nachhaltigkeit“ wird uns noch einige Zeit beschäftigen und in Atem halten. Insofern ist es umso wichtiger, auf dem Laufenden zu bleiben und nicht die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: „Jetzt habe ich meine Veröffentlichungen nach Offenlegungsverordnung in die Wege geleitet; ich habe mit dem Thema nichts mehr zu tun." Spätestens, wenn es in die Beratung Einfluss findet, dann wird es ein ganz wichtiges Thema für die Vermittler sein.
Welche Hilfe bietet Standard Life den Vermittlern?
Marco Gietz:Zunächst ist natürlich Standard Life als Produktgeber, als sogenannter Finanzmarktteilnehmer, verpflichtet, nach der Offenlegungsverordnung insbesondere im Interesse der Vermittler auch die vorvertraglichen Informationen bereitzustellen. Das tun wir bei Standard Life sowohl auf unserer Website im Fondsfinder – wo wir für jeden Fonds ein sogenanntes ESG-Factsheet bereitstellen, das die fondsspezifischen vorvertraglichen Informationen beinhaltet – als auch in unserer Angebotssoftware.
Wenn Sie in der Angebotssoftware den Prozess durchlaufen, werden Sie automatisch zu jedem Fonds, den Sie dem Kunden empfehlen, dieses ESG-Factsheet finden. Sie können es herunterladen, gemeinsam mit dem Antrag und den übrigen vorvertraglichen Informationen ausdrucken oder in elektronischer Form abspeichern und dem Kunden übergeben. So können Sie Ihre Pflicht, soweit sie produktbezogene Informationen beinhaltet, sehr komfortabel erfüllen.
Daneben bietet Standard Life auf der Website für Vermittler weitere Hintergrundinfos zum Thema Nachhaltigkeit. Wenn Sie sich als Vermittler einmal www.standardlife.de/esg ansehen, werden Sie dort Hinweise zum Thema Nachhaltigkeit finden, wie Sie diese in Ihren Beratungsprozess, aber auch ansonsten in Ihr Unternehmen integrieren können und insofern gut für die Zukunft gerüstet sind.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gietz.